BR KLASSIK - Leporello vom 14.10.11,
Stefan Hoffmann im Gespräch mit Barbara Bonney und Wolfram Rieger
(Interviewausschnitt)
B.B.
Es ist wichtig, diese jungen Menschen zu animieren, nicht nur an ihre
Stimme zu denken, sondern zu denken: Was ist unsere Message, was ist
das, was wir mitteilen wollen?
Was Barbara Bonney ihren Studenten ins Stammbuch schreibt, gilt nicht
nur im Unterricht. Die Professorin am Mozarteum will das Lied mit existenzieller
Energie aufladen, so dass aus dem Zuhörer ein Gegenüber wird,
das sich angesprochen weiß und berühren lassen kann. Denn
mitteilen kommt ohne teilen nicht aus. Das filigrane Kunstwerk Lied
ist mehr als nur Musik mit einem Text, es ist im besten Falle verdichtetes
Leben.
B.B.
Es gibt eigentlich nichts wie Interpretation. Dass ich die Lieder singe
mit meiner Stimme und meiner Lebenserfahrung, ist schon die Interpretation.
Man braucht nichts mehr da reinzusehen oder da rauszuholen. Einfach
die Texte erleben, während man diese Supermusik singt.
Damit der Moment, in dem der Ton den Mund verlässt, zu einem besonderen
wird, braucht es Authentizität. Für die Sopranistin darf sich
ein Sänger eines Liedes nicht einfach bemächtigen und daraus
den Rohstoff für einen Auftritt machen.
B.B.
Ich spiele in dem Sinne keine Rolle, ich singe einfach die Lieder, habe
die Texte verstanden auf meine Art und Weise und gebe das nur zurück
zum Publikum durch meine Lebenserfahrung. Aber wichtig ist, dass es
nicht ein Schauspiel ist. Es muss wirklich genuin und echt empfunden
sein.
Dabei hilft der Text. Er ist kein Vehikel, um die Verlegenheit zu vermeiden,
nur lalala zu singen. Erst die Worte machen das Lied zum Lied. Sie sind
Ausgangspunkt und Ziel.
B.B.
Der Text ist Nummer 1 für mich. Wenn ich ein Lied z. B. lerne,
dann lerne ich auf jeden Fall zuerst den Text auswendig, dann tue ich
einfach die Melodie und Rhythmus dazu. Und eigentlich, da wir alle Musiker
sind – Sänger sind auch Musiker –, braucht man nicht
mehr viel zu tun, einfach die zwei Elemente zusammenbinden. Aber auf
jeden Fall Text ist für mich auf jeden Fall wesentlich.
Damit trifft sie den Kern von Lied und Lyrik, dieses Festivals, das
man durchaus als Versuch zur Bewahrung der verdichteten und kunstvollen
Sprache verstehen kann. Dass es in Coburg und Umgebung stattfindet,
nicht in einer Metropole also, ist womöglich gut und angemessen,
denn in der Provinz ragt ein solches Unternehmen deutlicher hervor und
wird vielleicht nicht so einfach vom Mainstream überspült.
Denn die Gegenwart monologisiert geschwätzig; ein Gedicht, ein
Lied ist jedoch kein Monolog. Es ist nicht so dahingesagt, um Redezeit
zu besetzen, es ist auf Menschen angewiesen, die zuhören können,
zuhören wollen.
B.B.
Wir sind alle zu müde, wir haben alle viel zu viel zu tun, das
Leben hat viel zu viel Informationen. Wir können nicht mehr richtig
denken, wir können nicht mehr richtig still sein und einfach mal
eine Landschaft anschauen oder einfach nichts tun. Das machen die meisten
von uns gar nicht.
Woraus sich auch erklärt, warum das Lied, dieses filigrane Kunstwerk,
immer weniger des Zuhörens Kundige findet und warum das Engagement
dafür Unterstützer braucht, Leute, die mit anpacken, wie Wolfram
Rieger, der Barbara Bonney am Flügel begleitet, unterstreicht.
W.R.
Hier bei Lied und Lyrik ist es die Akademie der Künste mit ihrem
wunderbaren Stamm an Personen, die eben das Lied und die Dichtung einfach
so hoch schätzen, dass sie dieses Festival hier drumrum gerankt
haben. Und auf diese Weise bin ich ganz sicher, dass es nie sterben
wird. Aber wir müssen uns alle darum bemühen, dass es uns
bleibt.
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